Dio mio!

An dieser Stelle sei des Schriftstellers Manfred Hausmann gedacht, der 1986 starb. Er hat eine interessante Biographie, war ein schon früh erfolgreicher Literat mit Werken, die bisweilen in ihrer psychologischen Einfühlsamkeit in das jugendliche Leben an Hermann Hesse erinnern. In seinen späteren Jahren wurde er ein sehr engagierter religiöser Autor und Prediger der Evangelischen Kirche. In etlichen seiner Bücher und Erzählungen lassen sich Stationen und Ereignisse seines Lebens wiedererkennen.

Geboren ist er 1898 in Kassel, wohnte und studierte später in Göttingen, und nicht weit von da, im Werratal, hatte er schon früh Kontakt zur Wandervogelbewegung gefunden. An der Werra spielt auch eine Erzählung, die er erst 1968 veröffentlichte: „Der gelbe Faden“, die anrührende Geschichte einer Knabenschwärmerei.

Das Waldgebiet rund um die Burg Hanstein (bei Werleshausen) ist der Ort dieser Geschichte, wo 1911 Schüler seines Göttinger Gymnasiums mit einem „Kriegsspiel“ auf den Ernstfall eines Krieges vorbereitet werden. „Freund und Feind “ werden dabei jeweils durch den an einer Armbinde befestigten gelben bzw. grünen Faden gekennzeichnet. Der junge Manfred wird einem „Spähtrupp“ zugeteilt, der erkunden sollte, ob „hansteinische Einheiten“ versuchen würden, den Ludwigstein zu umgehen und von hinten anzugreifen. Mit seinem gelben Faden am Ärmel lässt er sich neben einem Eichenbusch auf einem Holzstapel nieder und blickt über die sonnenbeglänzten Wiesen und Felder bis hinunter zu der Bahnlinie, die nach Eichenberg führt. Versunken beobachtet er, wie über einem anderen Busch hunderte silberne und grüne Funken auf und nieder schweben, Funken oder dünne Fäden, an denen die Sonne hinspielte – kleine Motten, ein silbernes Gesprühe, das ihn vollkommen entzückt. „Da kam er den Waldweg entlang: Dio. Es verschlug mir den Atem. Dio mit einer roten Binde um den Ärmel seines schwarzen Seidenhemds und mit einem grünen Faden darüber. Er allein. Ich konnte es kaum glauben. Eigentlich hieß er Claudio. Aber wir nannten ihn Dio. Unter den fast dreihundert Schülern unseres Gymnasiums gab es nur einen, der mir den Atem zu benehmen vermochte, eben Dio.“

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Edward Robert Hughes, A Basket of oranges (1878)

Dios Mutter war Kunstmalerin, ihren Sohn hatte sie von einer Studienreise nach Italien „mitgebracht“ und zog ihn allein auf, was damals in Göttingen noch unerhört schien. Bei der Aufnahmeprüfung war er diesem Jungen erstmals begegnet – und seitdem hat sich Dio in ihm eingebrannt: „Alles an Dio nahm sich auf irgendeine Weise dunkel und verlockend aus, die bräunliche Haut, die beschatteten Augen, das ungeordnet in die Stirn fallende Haar, der fast immer ein wenig geöffnete Mund, der auf etwas zu warten schien, der schiebende Gang und die seltsamen Gedanken, die er in Sexta, Quinta und Quarta geäußert hatte, als wir noch in der ungeteilten Klasse zusammensaßen.“ Wie gern  wäre er sein Freund geworden. Und wenn nicht sein Freund, so doch sein Begleiter. „Es hätte mir genügt, seine geheimnisvolle Schönheit immer ansehen zu dürfen. Wir waren zwölf Jahre alt, er und ich.“

Doch wann immer er versuchte, Dio näher zu kommen, geschah dies so ungeschickt, dass dieser gar nicht reagierte. Einmal ergab sich eine Gelegenheit, als  Dios Mutter ihn einlud, am Nachmittag in ihr Atelier zu kommen, wo sie ihn zeichnen wollte. Doch als er dann, wie berauscht von der Möglichkeit, Dio nahe sein zu können, zu ihr kam, hatte sie die Einladung schon wieder vergessen. So musste er sich weiterhin damit begnügen, in dem Gedränge der Schüler  am Ende der Pause so dicht hinter Dio zu gehen, dass er sein schwarzes Haar und den Hals, der nackt und bräunlich aus dem Hemd oder Pullover stieg, aus nächster Nähe betrachten konnte, was ihn schon vollkommen glücklich machte.

„Und nun kam er des Wegs daher.“ Dio mio!

Die Geschichte, soviel sei verraten, geht, wie im richtigen Leben eben so manche frühe Liebe, eher schmerzlich aus. Aber Hausmann hat wunderbar eingefangen, was diese Sehnsucht ausmacht und was sie aus ihm macht.

gifhausmannontjearps1934600x_650Von einer ganz ähnlich schmerzlich-schönen Schwärmerei erzählt er in seinem Büchlein „Ontje Arps“. Hier lässt er seinen elfjährigen Protagonisten, den mit allen Wassern der Straße gewaschenen Stromer Ontje, einen Freund finden – nichts Besonderes für das Alter, möchte man meinen. Doch Hinnerk, den er bei einem Gartenfest entdeckt, wo dieser zusammen mit einem Mädchen auftritt, einen kleinen Schäfertanz aufführt und sich mit der Hirtenflöte im Licht wiegt, ist so vollkommen anders als die Jungen seiner Bande, dass er zu ihm als ein Verzauberter aufschaut, „… nicht, wie man bei ihm vielleicht vermuten wollte, einer Tat wegen, sondern weil das Antlitz des anderen ihn erfüllt und betroffen macht, die Augen Hinnerks ihn nicht mehr loslassen oder das Haar oder die Hände oder der sanfte, gepflegte Gestus … Einbruch des Schönen in eine Welt, die bisher in verwegener Unternehmung das einzig Bedeutsame sah und schätzte“ (Lutz Besch, Nachwort zu Ontje Arps).

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Francis Alfred Bolton, David Bolton as Flautist (ca. 1900)

„Ontje hielt ordentlich den Atem an, so blaß und fein war das Gesicht dieses Hinnerk von der Lydt, so seidig glänzend das schwarze, sorglos durcheinandergewuschelte Haar, so groß und wundersam waren die dunkelblauen Augen, so schmal die Hände, so vornehm die weißen Strümpfe und die schwarzen Lackschuhe mit den silbernen Schnallen. Ach du liebe Zeit, wenn Ontje daneben an die Mitglieder der Räuberbande dachte, die er sonst befehligte!“

Immerzu steht nun in der folgenden Zeit das Antlitz Hinnerks vor seinen Augen, mit dem schwarzem Haar darüber, Hinnerk mit seinen schmalen Händen und mit seinem wiegendem Gang: „Es gab nichts anderes mehr um ihn herum. Morgens, wenn er aufwachte, war sein erster Gedanke: Hinnerk! In der Schule: Hinnerk!“

Hausmanns wohl bekanntestes Buch ist „Abel mit der Mundharmonika“ (1932), das auch zweimal verfilmt wurde. Die Geschichte von vier Jugendlichen, die mit einem Boot auf der Weser unterwegs sind, ist eine wunderbar einfühlsame Schilderung der Gefühle, die sie füreinander hegen, der wehen-schönen Stimmungen, die eine neu und plötzlich über einen kommende Verliebtheit auslösen kann. Meisterlich auch die Darstellung einer Ballonfahrt im Gewitter, die das aus einer Havarie gerettete Mädchen den anderen nachts erzählt. In Bremen und in Worpswede bei Bremen lebte Hausmann seit den 1930er Jahren.

Craigher - summer scene with two boys in the sail boat off coast landscape

Baron Conrad Ortholf Theodor Craigher von Jachelutta (?), Sommerszene

Eines seiner meistaufgelegten Bücher ist „Martin. Geschichten aus einer glücklichen Welt“ von 1952. In ihm hat er kleine Anekdoten und Aussprüche seines 1936 geborenen Sohnes Martin gesammelt und zu kleinen Geschichtchen verarbeitet.  Dabei gelang es ihm auch, die Anmut eines kleinen Kindes zu zeichnen, das so versunken in sein Tun ist, dass es gar nicht bemerkt, wie schön es ist und wie schön es andere dabei finden. So z. B. in der kurzen Erzählung Er gibt ein Fest.

Martin und seine Mutter haben ein Fest vorbereitet, zu dem die Kinder des Dorfes eingeladen sind; schon die Vorbereitungen machen dem Kleinen einen Heidenspaß, und wie dann Martins Fest eine Zeitlang im Gange ist, gibt es unter allen Gästen nur eine Meinung, dass es das schönste von allen Festen sei, die je im Dorf stattgefunden hätten.

Martin

Eva Kausche-Kongsbak, Illustration zu Manfred Hausmann, Martin

Er selbst, Martin, stellt übrigens eine Sehenswürdigkeit für sich dar. Die hellblauen langen Hosen, das hellblaue, vorn offene Jäckchen mit dem weißen gefältelten Hemd darunter, der schief aufgesetzte Strohhut, unter dem die blonden Haare über die Stirn fallen, das Leuchten der dunkelblauen, etwas verlegenen Augen, die weißen Handschuhe, der Stab mit dem Rosensträußchen oben drauf, das alles steht ihm, wenngleich er sich offensichtlich nicht eben glücklich damit fühlt, gar anmutig zu Gesicht. Jetzt sind alle Gäste da. Er braucht niemanden mehr zu begrüßen. Und so legt er denn,  erleichtert aufatmend, Stab und Hut beiseite und mischt sich hüpfend in das selige Getümmel.

In einem „Selbstbildnis“ von 1930 schreibt Manfred Hausmann, dass sich der „gütige Herr S. Fischer“ seiner ein wenig angenommen habe – wahrscheinlich, um die Sammlung der -manns in seinem Verlag zu vervollständigen (Hauptmann, Wassermann, Kellermann, Thomas Mann, Klaus Mann, Heimann, Großmann, Guttmann, Whitman). Er passt auch wirklich gut hinein.

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