„Der schönste Junge der Welt“?

Björn Andrésen, der „Tadzio“-Darsteller in Luchino Viscontis Film „Der Tod in Venedig“ von 1971 wurde anlässlich der Filmpremiere vom Regisseur als „der schönste Junge der Welt“ präsentiert. Über Nacht sah sich der Sechzehnjährige mit einem zweifelhaften Ruhm konfrontiert, der ihm auch viele leidvolle Erfahrungen einbrachte. Sein Bild schmückte auch Germaine Greers viel beachtetes Buch „The boy“/“Der Knabe“ (2003) .

„Der Schönste“: Eine solche Auszeichnung ist immer problematisch. Bekanntlich entsteht Schönheit auch im Auge des Betrachters, ist also sehr subjektiv. Und „der Schönste der Welt“ ist in jedem Fall eine gewagte Aussage. Allerdings hat auch Thomas Mann selbst, Autor der Novelle „Der Tod in Venedig“,  in einem anderen Buch eine ähnlich absolute Aussage über den Jungen getroffen – in seiner Romantetralogie „Joseph und seine Brüder“ (Der junge Joseph).

Auch altersmäßig sind sich Björn Adrésen und der literarische Joseph nahe: „Joseph war siebzehn Jahre alt und in den Augen aller, die ihn sahen, der Schönste unter den Menschenkindern.“ Er beschreibt ihn dann in seiner Jugendanmut noch zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit schwankend, „schön wie Weib und Mann, schön von beiden Seiten her und auf alle Weise, hübsch und schön, dass es zum Gaffen und Sichvergafffen ist für Weib und Mann.“ Auch in Björn Andrésen vergafften sich Männer wie Frauen gleichermaßen.

Ebenfalls weit zog Thomas Mann die Grenzen der vergleichbaren Schönheit bei der Darstellung des jungen Wiligis im Roman „Der Erwählte“. Man mag auch hier an Björn Andrésen denken, wenn Mann schildert, „… wie Willo mit seiner Schar daherpreschte, daß die Krume stob, der schönste Fünfzehnjährige, den man sich denken kann, auf seinem Schecken, ohne Rüstung, nur in Hals- und Schulterberge aus leichten Stahlringen, die sein bleiches und feines Knabengesicht umrahmte, in Wappenrock und Korsett aus roter alexandrinischer Seide …“ (Thomas Mann, Der Erwählte – 1951)

In den Künsten und Fertigkeiten eines Ritters und späteren Königs wurde auch Konrad der Staufer unterrichtet, Konradin, der 1268 als Sechzehnjähriger unter dem Richtschwert in Neapel starb. Er wurde schon als Junge wegen seiner Schönheit gerühmt; man nannte ihn einen »egregius adolescens«, einen vortrefflichen Jüngling; »nobilem et pulcherrimum Conradinum«, den edlen und überaus schönen Konradin; selbst der französische Chronist von St. Denis beschreibt ihn als »enfes le plus bel que l’en peust trouver«, als „schönsten Knaben, den man finden kann“.

Den Radius des Vergleichs auf eine Stadt zu begrenzen, ist schon gewagt, aber in jedem Fall sinnvoller. So schreibt Lucian von Samosata, dass Alkibiades „zu den schönsten Jungen, die in diesen knabenfrohen Zeiten in den Straßen Athens zu sehen waren, gehörte. Die Zeitgenossen werden nicht müde, die Schönheit dieses Knaben zu preisen, der ihnen erschien, als wenn Eros selbst in Menschengestalt unter ihnen wandelte. Alkibiades war der ausgemachte Liebling aller, die ihn sahen.“ (Lucian von Samosata, Erotes).

„Zuletzt der bleiche, schöne, der Knabe Konradin“

Alkibiades

Vielleicht lässt sich eine solch absolute Zuschreibung der Schönheit ja tatsächlich auch nur hinsichtlich eines göttlichen Wesens „in Menschengestalt“ treffen: So heißt es schon in einer Predigt Alberts des Großen über Jesus: „Drittens heißt Jesus der Schönste. So ward Er schon durch Moses vorgebildet, von dem es heißt: ‚Weil die Mutter sah, daß er schön war, verbarg sie ihn drei Monate lang.‘ […] Von der Schönheit des Moses wird erzählt, daß ihn Gott so anmuthig geschaffen habe, daß ihn selbst die Feinde liebten und des Auferziehens werth hielten. Auch Josephus sagt, daß der Knabe Moses so schön gewesen sei, daß Jedermann, wenn er auch noch so grausam war, ihn gerne sah, und viele ihre Arbeiten verließen, wenn sie ihn aus der Straße gehen sahen und ihn anschauten. Wenn nun der Herr dem Moses schon eine so große Schönheit und Anmuth verlieh, um wie viel mehr wird Er sie Seinem Eingeborenen Sohne verliehen haben? […] Daß aber Jesus schön und zierlich ist, lesen wir auch im Hoheliede: „Siehe, Du bist schön, mein Geliebter, und zierlich!“ (Übers. Markus Adam Nickel, Die evangelischen Perikopen an den Sonntagen und Festen des katholischen Kirchenjahres –1853)

Die Zuschreibung einer außergewöhnlichen Schönheit kann sich für einen jungen Menschen im Laufe seines Lebens als fatal erweisen – ja geradezu als „Fluch“, wie es auch Wilhelm Heinrich Riehl in seiner Erzählung „Der Fluch der Schönheit“ (1862) am Beispiel des jungen Amos Haselborn beschrieb; der wurde in noch jüngeren Jahren mit seiner Schönheit konfrontiert – und glaubte selbst daran:

Amos war gerade acht Jahre alt, als der gräfliche Hofmaler den Auftrag erhielt, die vier Ecken der inneren Kirchenkuppel mit je zwei schwebenden Engeln al Fresco zu schmücken. Er wußte kein besseres Modell als den wunderschönen Schneidersknaben und malte ihn solchergestalt achtmal nackt und schwebend an die Kirchendecke. Mit leuchtendem Auge sah seitdem der Kleine allsonntäglich nach der Decke, wo er so lustig umherflatterte, und erzählte jedem Fremden mit Stolz, daß er schon einmal als Engel gesessen habe. Bei den Schulknaben hieß er von da an nur der Kirchenengel; er hörte aber diesen Spitznamen gern, und niemand war so fest wie er selber überzeugt, daß er im Grunde der schönste Mensch in der ganzen Welt sei.“

 

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